Hat der US-Dollar wirklich 99 % seines Wertes verloren?

© 2025 Andreas Heinz - (Bild wurde mit KI generiert)

 

In sozialen Medien liest man immer wieder dieselbe Behauptung: “Der Dollar hat seit 1971 fast 99 % seines Wertes verloren.” Gemeint ist damit die Preisentwicklung des Goldes, also wie viel US-Dollar man heute für eine Unze Gold bezahlen muss. Tatsächlich hat sich der Goldpreis von etwa 35 US-Dollar im Jahr 1971 auf über 3.400 US-Dollar im Jahr 2025 erhöht. Das klingt nach einem massiven Wertverlust des Dollars. Rechnet man es um, ergibt sich ein Rückgang des Dollarwerts gegenüber Gold um etwa 98,98 %. Doch dieser Schluss ist irreführend.

Die zentrale Schwäche dieser Argumentation liegt in der Annahme, dass Gold ein objektiver, unveränderlicher Maßstab für den Geldwert sei. Doch Gold ist ein Rohstoff wie jeder andere: sein Preis schwankt mit Angebot und Nachfrage, Realzinsniveau, geopolitischen Risiken und spekulativen Übertreibungen. Es gibt keinen ökonomischen Grund, Gold als “feste Bezugsgröße” zu verwenden. Wer den Wert von Fiatgeld allein daran misst, begeht einen fundamentalen Bewertungsfehler.

Ein stabiler Maßstab müsste in der Lage sein, wirtschaftliche Realität konsistent abzubilden, unabhängig von Marktzyklen oder spekulativen Übertreibungen. Genau das kann Gold nicht leisten. Es unterliegt Schwankungen, ist nicht zentral steuerbar und produziert weder Einkommen noch volkswirtschaftlichen Mehrwert. Wer es als Maßstab für die Wertentwicklung von Währungen verwendet, missachtet die Funktion von Geld im modernen Wirtschaftssystem.

Tatsächlich hat der US-Dollar seit 1971 an Kaufkraft eingebüßt, aber längst nicht im behaupteten Ausmaß. Gemessen am Verbraucherpreisindex (CPI) des U.S. Bureau of Labor Statistics entspricht 1 US-Dollar von 1971 heute etwa 8,30 US-Dollar. Das bedeutet einen realen Kaufkraftverlust von rund 85 bis 88 Prozent. Inflationsbereinigt hat der Dollar also deutlich weniger verloren als der nominale Anstieg des Goldpreises vermuten lässt. Diese Differenz ist entscheidend. Ein Rückgang um 99 Prozent würde bedeuten, dass ein US-Dollar heute nur noch ein Hundertstel seines Werts von 1971 hätte. Das ist nicht nur sachlich falsch, sondern auch wirtschaftlich irreführend. Die Preise für Konsumgüter, Dienstleistungen, Mieten, Energie oder Transport haben sich zwar erhöht, aber nicht in diesem extremen Maß.

Hinzu kommt: Inflation bedeutet nicht zwangsläufig Wohlstandsverlust. Eine wachsende Volkswirtschaft kann die Wirkung von Inflation kompensieren, oder sogar überkompensieren. Wenn Produktivität, Einkommen und Investitionen zunehmen, steigt der reale Lebensstandard trotz steigender Preise. Langfristig entwickeln sich reale Vermögen nicht allein durch Kaufkraftstabilität, sondern durch die Fähigkeit der Wirtschaft, Innovationen hervorzubringen, Arbeitsplätze zu schaffen und Gewinne zu generieren. Genau das leisten moderne Fiatgeldsysteme durch flexible Steuerung.

Auch Gold selbst war keineswegs durchgehend wertstabil. Zwischen 1980 und 2000 fiel der Goldpreis von über 800 US-Dollar auf unter 300 US-Dollar. Zwei Jahrzehnte realer Kaufkraftverlust trotz global wachsender Geldmengen und fortschreitender Inflation. In dieser Zeit entwickelten sich Aktienmärkte hingegen sehr positiv, ebenso Immobilienpreise, Unternehmensgewinne und Dividendenrenditen.

Auch andere reale Werte, die oft als „sichere Häfen“ gelten, zeigen teils noch drastischere Einbrüche: Silber verlor nach dem Hoch 1980 mehr als 90 % seines Werts. Öl, 2008 bei über 140 USD/Fass, notierte 2020 zeitweise bei unter null. In Japan sanken Immobilienpreise nach dem Platzen der Blase 1989 über Jahrzehnte hinweg und haben in vielen Regionen das Vorkrisenniveau bis heute nicht wieder erreicht. Besonders eindrucksvoll: Ende der 1980er-Jahre wurde der Wert des Grundstücks rund um den Kaiserpalast in Tokio höher eingeschätzt als ganz Kalifornien. Ein beispielloser Ausdruck spekulativer Übertreibung und ein Beleg dafür, dass selbst physische Sachwerte keine Wertgarantie darstellen. Selbst moderne „Wertspeicher“ wie Bitcoin verloren zwischen 2021 und 2022 über 75 %, in US-Dollar gerechnet.

Diese Beispiele zeigen: Auch reale Vermögenswerte sind keine festen Wertanker. Sie unterliegen zyklischen Schwankungen, Überbewertungen, technologischen Umbrüchen oder regulatorischen Eingriffen. Wer Fiatgeld ausschließlich über den Goldpreis bewertet, blendet diese Realität vollständig aus.

Fiatgeld erfüllt , trotz seiner Schwächen, nach wie vor drei zentrale Funktionen: Es dient als gesetzliches Zahlungsmittel, als Recheneinheit in der Volkswirtschaft und als kurzfristiger Wertspeicher. Diese Funktionen sind im Alltag essenziell und funktionieren, solange Vertrauen in das Währungssystem besteht. Geldpolitik kann auf Krisen reagieren, Geldmengen steuern, Liquidität bereitstellen oder regulierend eingreifen, all das ist mit Gold nicht möglich.

Gold kann in besonderen Marktphasen ein sinnvoller Portfoliobestandteil sein, etwa bei geopolitischen Spannungen, systemischem Vertrauensverlust oder starker Inflation. Aber es ist weder ein Ersatz für Geld noch ein objektiver Maßstab für dessen Wertentwicklung. Seine eigene Volatilität entzieht ihm diese Funktion.

Wer behauptet, der Dollar sei faktisch wertlos geworden, argumentiert auf Basis selektiver und ideologisch gefärbter Interpretationen. Wert entsteht nicht in der Relation zu einem einzelnen Rohstoff, sondern in der Funktionsfähigkeit wirtschaftlicher Austauschprozesse, im Vertrauen in Institutionen und in der Fähigkeit, Kaufkraft in einer modernen Wirtschaft effizient zu übertragen.

 

Quellen:

[1] FRED (Federal Reserve Bank of St. Louis): Gold Price Series GOLDAMGBD228NLBM
[2] Eichengreen, B. (1996). Globalizing Capital / Barro, R. J. (1979). Money and the Price Level under the Gold Standard
[3] U.S. Bureau of Labor Statistics: CPI Inflation Calculator
[4] World Gold Council / LBMA: Historical Gold Data
[5] U.S. Energy Information Administration (EIA): WTI Futures April 2020
[6] Bank of Japan / BIS: Real Estate Indicators / Shiller, R. J. (2005). Irrational Exuberance
[7] Bloomberg / CoinMarketCap: BTCUSD historical data
[8] Mishkin, F. S. (2018). The Economics of Money, Banking, and Financial Markets / EZB: „Was ist Geld?“
[9] Romer, D. (2019). Advanced Macroeconomics / Blanchard, O. (2006). Macroeconomics / IMF WP (2022): Growth and Inflation Dynamics in Advanced Economies

Adresse

KFVI - Finanzoptimierung
Heinz & Kollegen
Darmstädter Str. 63
64572 Büttelborn

service@kfvi.de
Mo.-Fr.: nur nach Vereinbarung